Was ist unser vollkommener Schutz?
26 Monday Oct 2015
Posted Befreiung, Ein Kurs in Wundern, Gesundheit, Heilung, Sündenlosigkeit, Schuldlosigkeit, Vergebung
in26 Monday Oct 2015
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in25 Monday May 2015
Posted Erwachen, Gesundheit, Gott, Heilung, Literatur, Poesie, Rumi, Spiritualität
in17 Tuesday Mar 2015
27 Thursday Mar 2014
Posted Angstfreiheit, Bildung, Depression, Ein Kurs in Wundern, Gesundheit, Heiliger Geist, Heilung, MS, Positives Denken, Wunder
inWann ist denn wirkliche Heilung möglich?
Wenn ich erkenne, dass meine Erkrankung ursächlich mit mir zu tun hat.
Nicht im Sinn von Verschuldung, sondern im Sinn von Selbstverantwortung.
Schuld ist grundsätzlich ein falsches Konzept. Denn sie setzt mich und mein Handeln mit Bösem gleich, für das ich mich dann schuldig fühle. Und damit ist erst einmal alles blockiert. Die leichteste Lösung in diesem Fall ist, all meine Schuldgefühle terminal in die Tonne zu treten.
Verantwortung hingegen bedeutet, dass ich für die Krankheitssituation, die ich erlebe, verantwortlich bin, d.h. nur ich bin es auch, der darauf mit einer entsprechend besseren, grundsätzlich und entschieden liebvollen Einstellung antworten kann.
Das ist der erste Schritt.
Der zweite Schritt in die Heilung ist der, eine größere, gute, heilende Geisteskraft wirken zu lassen und mich der immer mehr anzuvertrauen.
Was ist diese größere, gute, heilende Geisteskraft? Es ist der Geist, der „Spirit“ von Freude, Lebendigkeit und Kommunikation. Diesen Geist mache nicht ich, dieser Geist strömt sozusagen „von Oben“ durch alles hindurch, was ich bin. Und je mehr ich lerne, das heilende Strömen dieses Geistes zuzulassen, umso deutlicher erkenne ich, dass dieser gute, heilende Geist keine „andere“ Kraft ist sondern in Wirklichkeit eins ist mit meinem innersten Wesen.
Wenn ich dann auch noch als dritten Schritt diese heilende Geisteskraft anderen Kranken im Stillen zukommen lassen will – mit denen ist sie schließlich genauso eins wie mit mir -, dann hat meine Krankheit ausgedient.
Christoph Engen, 27.3.2013
http://www.wundersindkeinwunder.de
02 Sunday Mar 2014
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Ein Junge ist seit zwei Jahren an den Rollstuhl gefesselt. Da begegnet ihm unerwartet ein alter, weißhaariger Mann, der Rudi den Tipp seines Lebens gibt. Nach diesem Treffen bekommt Rudi im Geist Kontakt zu der Stimme des Alten, und seine Heilung beginnt …
DIE SINGENDEN ZEHEN ist die phantasievolle Darstellung der real erlebten Heilung des Autors und Sprechers von schwerer 23-jähriger MS und wiederkehrenden Depressionen.
06 Thursday Feb 2014
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Ein Kurs in Wundern, Erfahrungsbericht, Multiple Sklerose, Rumi, Schreiben, Selbstheilung, Wachträume, Wunder
Vor kurzem wurde ich mal wieder nachts von nervenaufreibenden Spasmen in meinen Waden verfolgt. Bald, nachdem ich ins Bett gegangen war, fingen auch schon meine Beine unwillkürlich zu zucken und zappeln an. An Schlafen war nicht mehr zu denken. Ich war todmüde, musste aber trotzdem aufstehen und irgendetwas tun. Eine heiße Dusche half nicht wirklich, genauso wenig, meine Waden zu massieren, auf und ab zu humpeln, Magnesium zu nehmen, auf der kalten Terrasse frische Luft zu holen. Ich merkte wie angespannt meine Gesichtsmuskeln waren in Erwartung des nächsten Krampfes. Ich konnte deutlich fühlen, wie sich der Krampf im gerade betroffenen Bein allmählich aufbaute und schließlich auf einen Schlag entlud. Um das alles noch zu toppen musste ich immer wieder pieseln, aufgrund einer hartnäckigen Blaseninfektion, und ich hatte in Kürze drei, vier Windeln aufgebraucht. Himmel nochmal, ich hatte von alledem derart genug! Ich konnte es nicht ausstehen, alle 15, 20 Minuten diese Windeln zu wechseln, und gleich danach zuckten die Beine wieder.
Trotzdem kam mir auch immer wieder ein guter Gedanke oder Satz in den Sinn, wie „Heilung“ oder „Frieden in meinen Beinen und in der ganzen Welt“ oder „Danke für meine Gesundheit“. Und ich konzentrierte mich dann auch auf diese guten Absichten. Bis mich das nächste Zucken oder die nächste Pinkelattacke wieder davon abbrachten.
Dann fiel mir ein Wunderwirkendes Heilungsgebet der “Ein Kurs in Wundern”- Lehrerin Nouk Sanchez ein. Hier ist es an einem Stück:
„Heiliger Geist, mein Glaube daran, dass ______(Thema, Krankheit oder Problem)_____wirklich ist, verursacht, dass ich mich angegriffen fühle und mich dagegen verteidige. In meiner Verteidigung bin ich allein, in meinem Gewahrsein abgeschnitten von Deiner Liebe und wahrer Heilung. Aber die Wahrheit ist, Deine Liebe und Heilung ist alles, was ist. Es gibt nichts außer Deiner Liebe.
Ich erkenne: indem ich wähle, an diese Angst zu glauben, lehne ich Deine Liebe und Heilung ab. Und ich verteidige mich vor Deiner Liebe, Deiner Freude und Deinem Frieden. Jetzt entscheide ich mich, meine Sorgen und Ängste zu Dir zu bringen, Heiliger Geist, damit wir sie gemeinsam ansehen können. Gemeinsam sehen wir meine Liste der Abwehr an. Ich bitte Dich, Deine Liebe in meinen Geist zu leuchten und diese Ängste neu für mich zu interpretieren. Reinige sie und verwandle sie in Bereiche der Heilung und Inspiration.
Ich akzeptiere, das einzige, was ich dabei zu tun habe, ist:
1) Ich lade Dich ein, diese Ängste und Urteile mit mir gemeinsam anzusehen. Während wir das tun, werde ich weder über mich selbst noch über jemand anderes urteilen; stattdessen werde ich einen Raum von komplettem Nicht-Urteil offenhalten, damit Du den mit Liebe und Heilung füllen kannst.
2) Während ich alles ansehe, sage ich ehrlich gemeint: „Obwohl dies ein Problem zu sein scheint und trotz irgendwelcher Gefühle von Angst, Beklemmung, Wut, Schuld oder Zweifel, die ich haben mag, öffne ich mich jetzt, in diesem Augenblick, dafür, durch das Wunder Heilung zu empfangen. Ich nehme diese Heilung an. So soll es sein. Amen.“
Aus THE END OF DEATH von Nouk Sanchez, undoing-the-ego.org
Irgendwie versuchte ich, die Kernaussagen dieses Gebets in meiner Erinnerung zusammenzubekommen.
‚Okay, Heiliger Geist‘, dachte ich, ‚lass uns diesen Mist zusammen anschauen.‘ Nichts passierte. Aber zumindest hatte ich, glaube ich, die Einladung für Ihn ausgedrückt.
Schließlich entschied ich, mich hinzulegen und zu versuchen, mich ein bisschen auszuruhen, obgleich ich nicht daran glaubte, dass diese Spasmen oder die Pinkelattacken aufhören würden. Mit einer frischen Windel ausgestattet, ging ich zu Bett. Gleichzeitig tauchte die ehrliche, ernsthafte Frage auf: ‚Sag, was hat das alles zu bedeuten? Was ist der wirkliche Grund für dieses ganze Theater?‘
Erstaunlicherweise kam es dann irgendwie zu Entspannung in meinen Beinen, und ich fühlte, dass ich einschlief.
Was folgte, war eine sehr ungewöhnliche Erfahrung. Ich wusste, dass ich schlief und trotzdem blieb ich wach und bewusst. Dann tauchten, wie als Antwort auf meine vorangegangene Frage, aus einer inneren Dunkelheit heraus Gestalten auf. Ein langsames, schweigsames Defilee von verschiedensten ungeliebten Schatten-Charakteren. Einige waren verstümmelt, manche verwundet, manche bedrohlich, manche apathisch, ein paar wenige sahen wie wolfsähnliche Tiere aus. Ich konnte sie alle ganz deutlich sehen. Ich war fasziniert. Angst war überhaupt keine spürbar, nur Faszination über diesen finsteren Aufmarsch.
Schließlich kamen, ich glaube, sieben Reiter in schwarzen Umhängen und Kapuzen auf mich zu. Sie sahen genauso aus wie die Schrecken verbreitenden Reiter aus „Der Herr der Ringe“. Der mittlere Reiter kam direkt auf mich zu, aber da ich wusste, dass es MEIN Traum war, gab es überhaupt keine Angst. Mit großem Interesse schaute ich direkt in die Kapuze dieses zentralen schwarzen Reiters hinein. Nichts als Dunkelheit war dort zu sehen. Als ich tiefer und tiefer in diese Dunkelheit hineinschaute, schlief ich ein.
Nach einer geruhsamen Nacht fand ich mich auf unserer kalten, winterlichen Terrasse wieder bei einem heißen Morgenkaffee und schmauchte eine selbstgedrehte Zigarette. Allmählich tauchte das Licht eines bewölkten, nebligen Tages auf. Ich hatte ein neues Paar Windeln an. Meine Pinkelimpulse hatten sich deutlich beruhigt, und Spasmen hatte ich gar keine mehr. Ich erinnerte mich an meinen wachen Traum über das finstere Defilee und auch an den Ausspruch von Jesus, in dem er sich selbst als die offene Tür bezeichnet. Die offene Tür. Ich glaube, das ist genau, was er für jeden von uns will. Dass wir offene Türen sind. Und keine verschlossenen Paläste oder Hütten.
Als ich später mit Nina, einer guten Freundin und Therapeutin, über diesen wachen Traum sprach, erinnerte ich mich an ein Rumi-Gedicht, das ich für mein erstes Buch mit Rumi-Übersetzungen nach Coleman Barks ins Deutsche übersetzt hatte. Dieses Gedicht schien perfekt zu passen, um mein dunkles Defilee der vergangenen Nacht zu erklären:
Das Gasthaus
Ein Gasthaus ist dieses menschliche Dasein.
Jeden Tag eine Neuankunft.
Eine Freude, ein Kummer, eine Gemeinheit,
ein kurzes Achtsamsein
kommt als unerwarteter Gast.
Heiße alle willkommen und mach’s allen schön!
Auch wenn sie ein Haufen Leiden sind,
die dir brutal alle Möbel rausfegen.
Egal. Behandle jeden Gast mit Respekt.
Vielleicht schafft gerade er in dir Platz
für ganz neue Wonnen.
Dem dunklen Gedanken, der Scham, der Boshaftigkeit,
öffne allen mit Lachen die Tür
und lade sie ein, deine Gäste zu sein.
Sei dankbar für jeden, der kommt,
denn jeder wurde als Führer von oben geschickt.
Aus RUMI, „Die Musik, die wir sind“, Arbor-Verlag
Mittlerweile haben meine Blasenprobleme deutlich abgenommen, und meine nächtlichen Spasmen sind wenn, dann nur kurz. Überraschenderweise ist meine Gehfähigkeit auch noch einmal ein Stückchen besser geworden, nachdem sie sich bereits seit dem Sommer 2012 signifikant verbessert hatte. Nach 23 Jahren an zwei Krücken oder im Rollstuhl.
Gott und seinem Lebendigen Heiligen Geist sei Dank!
Christoph Engen, 6. Februar 2014
20 Wednesday Nov 2013
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Depressionen überwinden, Ein Kurs in Wundern, Erwachen, Gelähmten Körperregionen Namen geben, Gott, Innere Stimme, Liebe, Märchen, Musik, Schwamm drüber, Selbstheilung, Wunder
Bring Liebe
in deine Welt
und du wirst
die Große Liebe finden!
oder
Die singenden Zehen
Ein Heilungsmärchen von Christoph Engen
© Atemverlag, 2013
EINS
„Bring Liebe in deine Welt und du wirst die Große Liebe finden“, hatte der alte weißhaarige Mann zu Rudi gesagt, als der in seinem Rollstuhl verzweifelt vor dem Kaufhaus gesessen war, in das seine Mutter grad kurz einkaufen gegangen war. Dann hatte sich der alte Mann im Weggehen noch einmal zu ihm umgedreht, total nett gelächelt und angefügt: „Und Gesundheit natürlich auch.“ Dabei hatte er diebisch gezwinkert. „Wirst sehen, es funktioniert. Dann läufst Du auch wieder.“
Rudi lag in seinem Bett und musste immer wieder an diese Begegnung mit dem alten Mann vor dem Kaufhaus denken. Er konnte nicht schlafen. Seit seinem Unfall war Schlafen das einzige gewesen, das ihm noch Freude gemacht hatte. Da konnte er nämlich sein ganzes Schlamassel mit den kaputten Beinen und den vielen Schmerzmitteln und diesem ganzen Scheißdreck einfach vergessen. Aber jetzt ging das nicht.
‚Okay‘, dachte Rudi, ‘und wie soll das gehen? Liebe in meine Welt bringen …‘ Er wälzte sich angestrengt auf die Seite. Plötzlich war ihm, als hörte er die Stimme des alten Mannes von heute Nachmittag zu ihm sprechen. ‚Hallo Rudi, das ist ja eine richtig gute Frage. Freut mich! ‘ „Hä???“ entfuhr es Rudi. So etwas war ihm ja noch nie passiert! Dass er plötzlich eine andere Stimme in sich hörte … nein, dachte!
‚Nur keine Panik, ‘ sagte die Stimme des alten Mannes weiter ‚du hast mich heute Nachmittag vor dem Kaufhaus gehört. Warum solltest du mich nicht jetzt in deinem Geist hören können? ‘
Rudi suchte nach einer Antwort.
‚Gib dir keine Mühe, ‘ fuhr die Stimme fort, ‚lass uns lieber deine Frage beantworten. Na ja, deine Eltern liebst du ja, zumindest manchmal, und manche Menschen auch, jetzt kommt’s drauf an, dass du auch deine kaputten Beine liebst. Ich sag dir mal was, fangen wir doch mit deinen Zehen an. Die haben sich ja so lange nicht mehr bewegt. ‘ „Seit über zwei Jahren“, sagte Rudi. ‚Eben, ‘ sagte die Stimme des Alten. ‚Gib denen doch einfach mal Namen! ‘
„Hä???“ entfuhr es Rudi wieder und er saß plötzlich kerzengerade aufrecht in seinem Bett.
‚Wie würdest du denn deine rechte kleine Zehe am liebsten nennen? ‘
„Kleines Arschloch!“ rief Rudi, „Die hat sich jahrelang nicht mehr bewegt!“
‚Okay. Und jetzt gib mal deiner kleinen rechten Zehe einen netten Namen. Wenn du zu jemandem ‚Arschloch‘ sagst, freut sich der ja normalerweise nicht besonders, oder? ‘
Rudi dachte nach. ‚Warum nicht? ‘ dachte er. ‚Eben, ‘ sagte die Stimme des alten Mannes.
„Wie wär’s mit Schnucki?“ sagte Rudi leise.
‚Großartig! ‘ war die Antwort.
ZWEI
‚Schnucki,‘ wiederholte Rudi in Gedanken. ‚Genau, ‘ sagte die Stimme des Alten in Rudis Gedanken. ‚Kleine rechte Zehe: Schnucki.‘
Rudi wurde ganz traurig. „Aber die spüre ich ja gar nicht mehr!“
‚Eben, ‘ sagte der alte Mann in Rudis Gedanken weiter, ‚darum sollst du ihr ja einen Namen geben. So holt man Vergessenes wieder zu sich zurück. Indem man ihm Namen gibt. Nette Namen.‘
„Und dann?“ fragte Rudi. ‚Dann wiederholst du diesen Namen immer wieder und immer wieder, sobald du dran denkst. Und wenn du an deine Lähmung denkst und merkst, dass du traurig wirst, dann reagier gleich darauf. Sag ‚Schnucki‘ und denk dabei an deinen rechten kleinen Zeh. Immer wieder, okay? Du wirst dich noch wundern! Wird vielleicht gar nicht lang dauern, dann spürst du diesen kleinen rechten Ganoven-Zeh wieder. Es liegt auch an dir! ‘
DREI
Da Rudi zurzeit sowieso nur liegen oder sitzen konnte und wegen seiner Behinderung oft traurig wurde, hatte er in den nächsten Tagen immer wieder Gelegenheit, den Tipp des alten Mannes zu befolgen. Er wollte nämlich nicht traurig sein und er wollte wieder gesund werden, egal was die Ärzte und alle so sagten. Also gab er seinem kleinen rechten Zeh immer wieder den Namen Schnucki, und er spürte schnell, wie dieser freundliche Name ihn beruhigte. Auch kam es ihm so vor als würde sein kleiner rechter Zeh irgendwie wieder lebendiger und wärmer, obwohl er noch keine Bewegung darin spürte.
Die passierte erst nach ein paar Tagen. Rudi saß gerade in der Badewanne und summte einen fetzigen Song mit, der eben im Radio lief. Dabei fiel sein Blick auf seinen rechten Zeh unter Wasser und plötzlich zuckte der.
„Ja Schnucki!“ rief Rudi laut, „das ist ja ein Ding! Mama, komm mal!“
Rudis Mutter konnte es selbst kaum fassen. Sie war oft unglücklich gewesen wegen der schlimmen Prognose, die die Ärzte Rudi gestellt hatten und hatte sich schwere Vorwürfe gemacht, dass sie irgendwas falsch gemacht hätte.
„Das ist ja toll“, sagte sie strahlend. „Siehst du“, sagte Rudi, „und du hast gedacht, ich spinne, weil ich den ‚Schnucki‘ genannt habe.“ „Nein“, sagte seine Mutter, „weil du immer wieder von dieser komischen Stimme geredet hast, die du hörst.“ „Ach Mama, du hörst doch auch oft komische Stimmen in dir. Deine ganzen Ängste und Sorgen wegen mir!“
Rudis Mama wechselte schnell das Thema. „Gut, also wenn dein kleiner rechter Zeh ‚Schnucki‘ heißt, wie heißt dann dein vierter rechter Zeh?“
„Das ist aber eine gute Frage“, antwortete Rudi und dachte kurz nach. Dann platzte es aus ihm heraus: „Friedolin! Ja genau!“ „Ganz schön viel los in deiner Badewanne heute“, sagte seine Mutter und lachte.
VIER
Und so ergab es sich, dass im Lauf der Zeit Schnucki und Friedolin wieder aufzuwachen begannen und sich immer öfter bewegten. Auch kamen allmählich die anderen Zehen hinzu, komischerweise immer dann, wenn Rudi für sie ein Name einfiel.
Als nächstes kam Rudis großer Zeh an die Reihe, der hieß Tom.
Dann der mittlere Zeh, der hieß Clara.
Und am Schluss sein zweiter rechter Zeh, der hieß Pauli. Dieser zweite Zeh war für Rudi am schwersten zu spüren gewesen. Wenn er an Pauli dachte, dann regte sich oft nur etwas in Tom oder Clara.
Aber egal, durch das Spielen mit seinen Zehen war wieder so viel Bewegung in Rudis Füße gekommen! Es dauerte gar nicht lang, dann konnte er sogar seine Schmerzmittel verringern und schließlich sogar ganz damit aufhören.
Sein Doktor war richtig begeistert. Er meinte, mit solchen Verbesserungen hätte er ja nie gerechnet und sogar Rudis Beine hätten wieder stärkere Muskeln entwickelt. Nein, wenn das so sei, dann müsse sich Rudi gar nicht mehr damit abfinden, den Rest seines Lebens im Rollstuhl zu verbringen, und er verschrieb ihm sogar Stunden, um wieder gehen zu lernen.
FÜNF
Mittlerweile hatte Rudi seinen linken Zehen die gleichen Namen gegeben wie seinen rechten. Um sie besser unterscheiden zu können waren aber seine rechten Zehen mit Nummer 1 tituliert und seine linken mit Nummer 2. Schnucki Nummer 1 war also sein rechter kleiner Zeh, Schnucki Nummer 2 sein linker kleiner Zeh und so weiter.
Rudi war sehr zufrieden mit seinen Fortschritten und er malte sich immer wieder in Gedanken aus wie er einen großen Ehrenpreis für seine Heilung und seine Erkenntnisse erhalten würde und was er dann für eine tolle Rede halten würde.
‚Kannst du dich noch erinnern, was damals passiert ist, als das mit deiner Nervenkrankheit losging, die du Unfall nennst? ‘ fragte die Stimme des alten Mannes Rudi plötzlich.
Rudi saß gerade auf einem Hocker vor dem Waschbecken im Bad und putzte sich die Zähne. ‚Jetzt wollen wir mal der Sache auf den Grund gehen‘, fügte die Stimme hinzu. „Aber wieso?“, fragte Rudi, „es wird doch eh schon alles so viel besser …“ ‚Weil es nicht nur darum geht, deine Zehen zu lieben, ‘ sagte die Stimme des Alten ernst.
Rudi dachte nach. „Ach, da war diese blöde Situation mit Lucie …“ fiel ihm ein, „und mit diesem blöden Deppen Karl, der mich wegen ihr immer gehänselt hat.“ ‚Und wie hast du dich da gefühlt, Rudi? Was hast du dir dabei gedacht? ‘
„Der hat immer wieder gesagt, dass sich die Lucie nie für mich interessieren wird. Dass ich zu klein und zu dick bin, dieses Arschloch!“
Die Stimme des alten Mannes wiederholte noch einmal ihre Frage: ‚Was hast du dir dabei gedacht? ‘ „Ich war total sauer“, sagte Rudi, „ich hab diesem Karl die Pest an den Hals gewünscht!“ Dann machte er eine Pause und eine Träne kullerte ihm aus den Augen. „Das war so gemein! Dieses blöde Arschloch, dieses blöde!“
‚Genau, ‘ sagte der alte Mann in Rudis Gedanken.
SECHS
‚Hast du dem jemals verziehen in den zwei Jahren, die du jetzt krank warst?“ fuhr die Stimme des alten Mannes in Rudis Geist fort. „Wie soll das denn gehen“, fragte Rudi, „soll ich etwa zu ihm gehen und sagen: Ich verzeih dir das?“ ‚Nein‘, hörte er deutlich, ‚du musst Karl gar nichts sagen. Das ist sogar viel besser so. Aber du kannst sehen, dass er genauso ein Opfer der Umstände ist wie du. Glaubst du, der hätte dich schlecht behandelt, wenn er nicht selber von seinem Vater schlecht behandelt würde?“
‚Stimmt‘, dachte Rudi. Er hatte sogar mal gesehen wie Karl vor der Schule von seinem Vater angebrüllt worden war. „Und das gibt er an dich weiter“, sagte der Alte. „Weil er selbst nicht verzeiht, gibt er seine Verletztheit, seine Gekränktheit an dich weiter.“ Es wurde lange still in dem Badezimmer, und Rudi hockte nachdenklich auf seinem Hocker.
‚Erinnere dich, was ich dir vor dem Kaufhaus bei unserer ersten Begegnung gesagt habe, Rudi‘, fuhr der alte Mann schließlich fort: ‚Bring Liebe in deine Welt und du wirst die Große Liebe finden! Damals als dich deine Klassenkameraden zum ersten Mal besuchten, hast du Karl nicht einmal in die Augen gesehen. ‘ „Der war auch nur dieses eine Mal da“, protestierte Rudi, „dann hat er sich nie mehr blicken lassen!“ ‚Würdest du jemanden nochmal besuchen, wenn der dich abweist? Statt also dem Karl – wohlgemerkt nur in deinen Gedanken – zu verzeihen, hast du die ganze Zeit über deinen Ärger auf ihn gehegt und gepflegt. Und glaubst du nicht, dass so etwas krank macht? ‘ „Ich kann mich doch ärgern so lang ich will“, sagte Rudi wütend. ‚Genau‘, fuhr die Stimme des alten Mannes fort, ‚völlig richtig. Du kannst dich ärgern, bis du schwarz wirst. ‘
‚Du kannst dich ärgern, bis dein Ärger deinen Körper in die Grube gebracht hat. Und dann geht der ganze Zirkus wieder von vorne los. Weil du nichts kapiert hast. Weil du immer noch glaubst, ein Opfer der Umstände zu sein. ‘ „Ein Opfer der Umstände, ein Opfer der Umstände, was heißt denn das?“ blaffte Rudi, „ich bin erst dreizehn!“ Jetzt kam es ihm vor als würde die Stimme hell lachen, fast wie ein Mädchen, dann wurde sie wieder dunkler und sagte: ‚Ein Umstand ist, wenn dich zum Beispiel jemand ärgert. Und ein Opfer ist jemand, der dagegen nichts tun kann, außer sich zurückzuärgern oder davor Angst zu haben. ‘
‚Und jemand, der verzeiht ist einer, der weiß, dass er nie das Opfer von Umständen ist und immer die Wahl hat. Indem er sagt, okay, das war jetzt blöd von dem, aber ich hab keine Lust, mich über den zu ärgern, sondern ich hab Lust, den trotzdem zu lieben. Also Schwamm drüber! So einfach geht das mit dem Verzeihen. Drum tun es wohl so wenige. Aber das Verzeihen geht noch viel tiefer. Es hilft dir einfach, dorthin zu kommen, wo du wirklich bist. ‘
„Hä?“ sagte Rudi.
SIEBEN
‚Du kannst es dir am besten so vorstellen, Rudi, ‘ sagte die Stimme des alten Mannes, ‚ wenn irgendwas passiert, das dich aufregt, sag einfach: Schwamm drüber! Fang gar nicht erst an, dir lange drüber Gedanken zu machen. Dadurch hältst du deine Aufregung ja nur am Leben. Sag: Schwamm drüber. Das ist es, was mit Vergebung gemeint ist. Dadurch, dass du Schwamm drüber denkst oder sagst, wischt du sozusagen deinen Geist rein von Aufregungen und Ärger und Ängsten. ‘ „Und das soll funktionieren?“ fragte Rudi ungläubig.
‚Es ist nur die Frage, wie ernst du es meinst. Wenn du Schwamm drüber mit aller Entschiedenheit sagst, dann funtioniert’s. Wenn du es halbherzig sagst, dann wird es nur teilweise funktionieren. Es liegt an dir und deiner Entschiedenheit. Schließlich ist dein Geist DEIN Geist. Da hat niemand was zu bestimmen, außer du selbst. Wenn du erlaubst, dass sich dort Aufregungen und Ärger und Ängste einnisten, dann wirst du das erleben: Aufregungen und Ärger und Ängste. Wenn du sagst: Ich will Liebe und Freude und Freiheit erleben, und darum Schwamm drüber über schlechte Erfahrungen und schlechte Gefühle, dann machst du den Weg frei für alles Gute, was das Universum für dich bereithält!‘
‚Es ist wirklich so einfach! Drum machen es ja so wenige, weil es ihnen zu simpel vorkommt. Die wenigsten ahnen auch nur, was für eine gewaltige Verantwortung sie dafür haben, ob ihr Leben gelingt oder nicht, ob sie richtig gerne und glücklich leben oder nicht! ‘
‚Aber zu deiner Frage: Schwamm drüber zu sagen hilft dir noch viel weiter als zu einem angenehmen Leben. Es hilft dir, wie gesagt, dorthin zu kommen, wo du wirklich bist. Und wo bist du wirklich? ‘ „Hä?“, fragte Rudi nochmal, „na hier im Badezimmer, wo sonst?“ ‚Und? Bist du richtig total glücklich und zufrieden, hier in diesem Badezimmer? ‘ „Na ja“, sagte Rudi, „geht so.“ ‚Also nicht, ‘ sagte die Stimme des Alten in Rudis Geist. ‚Und würdest du gerne dort sein, wo du total glücklich und zufrieden bist? ‘ „Na klar“, antwortete Rudi prompt.
‚Also‘, sagte der Alte, ‚dieser Platz, wenn man das so nennen mag, ist nirgendwo anders als mitten in dir. In deinem Geist. Der ist ja schließlich die Mitte von dir oder glaubst du etwa, dein Körper ist die Mitte von dir? Niemals! Und das erkennt man normalerweise erst, nachdem man Liebe in die ganze eigene Welt gebracht hat. In die GANZE eigene Welt. Und das geht am leichtesten, indem man Schwamm drüber sagt über alles Negative, das man so in sich bemerkt. ‘
‚Ich sag dir jetzt mal einen Satz. Merk dir den, denk oft an den, schreib ihn dir auf, der wird dich zu dir nach Haus bringen, früher oder später:
„Es gibt nirgendwo das, was ich wirklich bin,
in größerer Freude und größerem Überfluss
als genau dort, wo immer ich gerade bin.“
ACHT
‚Und wie geht’s deinen Zehen so? ‘ fragte die Stimme des alten Mannes Rudi, nachdem dieser den rätselhaften Satz in seinem Zimmer am Schreibtisch auf einen kleinen Zettel gekritzelt hatte.
Da fiel Rudi schlagartig auf, dass sich seine Zehen immer wie zu einer Musik mitbewegt hatten, sobald er die Stimme des Alten in sich gehört hatte. Anfangs, als noch wenig Gespür in seine Zehen zurückgekehrt war, war das sehr undeutlich gewesen, aber je öfter und je länger er seine Zehen mit ihren neuen Namen angedacht hatte, und je mehr die aufgewacht waren, und je öfter er mit dem alten Mann in seinem Geist Kontakt gehabt hatte, umso deutlicher war das geworden. Dass er das vorher nicht bemerkt hatte!
„Ja, äh, ich merk das gerade, “ sagte Rudi, „die haben irgendwie zu tanzen angefangen, meine Zehen!“ ‚Wie wenn sie ein fröhliches, schönes Lied mitsingen würden?‘ „Ja genau!“
NEUN
Mittlerweile waren 18 Jahre vergangen. Rudi saß zu Mittag in seinem Lieblings-Café und wollte gerade zahlen, um dann wieder in sein Büro zu eilen. Es gab noch so viel zu tun heute. Jetzt da seine Agentur endlich ins Laufen gekommen war, gab es mehr Arbeit als je zuvor. Da rutschte ihm wieder einmal der alte, abgegriffene und schon leicht gelbliche Zettel in die Finger, den er über all die Jahre immer bei sich im Portemonnaie gehabt hatte.
Während er nach seinem Gehstock griff, las er, plötzlich nachdenklich, was dort geschrieben stand:
„Es gibt nirgendwo das, was ich wirklich bin,
in größerer Freude und größerem Überfluss
als genau dort, wo immer ich gerade bin.“
‚Oh mein Gott‘, dachte Rudi, ‚ist das lange her. Und verstanden hab ich das immer noch nicht. ‘ Auch an seine Zehen hatte er so lange nicht mehr gedacht. Vielleicht war seine Gesundheitssituation deshalb ab einem bestimmten Punkt nicht mehr besser geworden. Vielleicht brauchte er deshalb zum Gehen seit fast zwanzig Jahren einen Gehstock …
„Das ist gut möglich“, sagte der alte weißhaarige Mann, der plötzlich vor seinem Tisch stand und ihn anstrahlte. Rudi fiel fast vom Stuhl. Es war derselbe alte Mann von damals als er ein kleiner Junge gewesen war. Seit Jahren hatte er seine Stimme nicht mehr in sich gehört, geschweige denn, dass er ihn wiedergesehen hätte! Der Alte sah kein bisschen älter aus. Nur diesmal war er nobel gekleidet, trug einen hellbeigen Anzug und unter einem dunkelblauen seidenen Halstuch schaute auf der Mitte seiner Brust an einer feinen goldenen Kette eine kleine, wohl sehr alte Gold Uhr heraus, allerdings ohne Ziffernblatt, Zahlen und Zeiger!
Rudi starrte fasziniert auf die imposante Erscheinung des Alten. Damals vor dem Kaufhaus war der völlig durchschnittlich gekleidet gewesen. Jetzt wirkte er buchstäblich wie ein König.
„Du solltest das ändern“, sagte der alte Mann. „Oder besser: du könntest das ändern, Rudi.“ Rudi brachte kein Wort heraus. Er bemerkte nur, dass den vielen anderen Gästen des Cafés der alte Mann scheinbar gar nicht auffiel. „Was ändern?“ stammelt er verwirrt.
„Du brauchst mehr Zeit für dich. Für deine Heilung. Oder willst du den Rest deines Lebens an einem Stock herumhumpeln? Mach Urlaub. Zwei Wochen. Mach zwei Wochen Urlaub und konzentrier dich wieder auf das, was wirklich wichtig ist. Lucie kann währenddessen wunderbar deine Geschäfte am Laufen halten.“
„Aber sie braucht doch so viel Zeit für unseren kleinen Pauli. Ich will ihr das nicht aufbürden, “ antwortete Rudi schließlich nach einer Denkpause. „Lucie kann das sehr gut, “ sagte der alte Mann und fügte grinsend hinzu, „vergiss nicht, sie ist eine Frau. Und eurem Sohn tut’s sehr gut, wenn er weiß, dass sein Papa was Vernünftiges macht. Nicht nur Karriere.“ Damit schob der alte Mann Rudi eine Postkarte über den Tisch, auf der bei strahlender Sommersonne eine Hütte am Rand eines kleinen Gebirgssees abgebildet war, samt Anschrift.
ZEHN
Es hatte seit Tagen geregnet, genau genommen seit Rudi in der Holzhütte in den Bergen angekommen war. Er sah durchs Fenster wie der Regen auf den kleinen Gebirgssee prasselte. Alles war düster und grau und unwirtlich. Rudi spülte sein Frühstücksgeschirr in einem kleinen, angerosteten Spülbecken unter kaltem Wasser. Warmwasser gab es hier nicht. Dabei kamen ihm wieder fast die Tränen. Wie einsam er sich in dieser trübsinnigen Holzhütte fühlte! So eine Schnapsidee für zwei Wochen in diese Einöde zu kommen! Zuhause hatte er Familie und Arbeit und Freunde. Und hier? Dann würde er eben den Rest seines Lebens an einem Stock gehen, na und!
Allerdings, was ihm am meisten fehlte, das war diese innere Stimme des alten Mannes. Er hörte nichts in sich, außer seinen eigenen quälenden Gedanken. Oft hatte er in diesen Tagen nach innen gefragt: „Wo bist du? Wo bist du denn?“ Die einzige Antwort, die er immer wieder deutlich vernommen hatte war: ‚Ich bin da. Ich bin bei dir. ‘ Aber diese wenigen Worte hatten nichts an seinem jämmerlichen Gefühl verändert, hier von Gott und der Welt verlassen zu sein.
‚Nimm doch Kontakt auf mit deinen Zehen‘, dachte es plötzlich klar und deutlich in ihm. „Was zum Teufel interessieren mich meine Zehen“, platzte es aus Rudi heraus. Er wollte wieder in seiner gewohnten Umgebung sein! Bei den Menschen, die er liebte!
‚Das kommt schon‘, dachte es wieder in ihm. ‚Du bist nie allein, hörst du: nie! ‘ Das war die Stimme des Alten! „Was soll das heißen, ich bin nie allein? Hier ist keine Menschenseele!“ ‚Hier ist kein anderer Menschenkörper‘, korrigierte ihn die Stimme, ‚du hast keine Ahnung, wie viel Seele hier ist! Jetzt nimm Kontakt auf mit deinen Zehen. ‘ Die Stimme klang so bestimmt, dass Rudi augenblicklich tat, was sie ihm sagte.
Zwei Stunden später ging es ihm schon um einiges besser. Immer wieder hatte er an Schnucki gedacht, seine kleine Zehe, an Friedolin, seine vierte Zehe, an Clara, seinen mittleren Zeh, an den immer noch widerspenstigen Pauli, seinen zweiten Zeh, und an Tom, seinen großen Zeh. Sowohl am rechten Fuß, als auch am linken. Bei Pauli, dem zweiten Zeh, war ihm immer wieder sein kleiner Sohn eingefallen und sein süßes, freches Lachen. Wegen dieses Namens von seinem zweiten Zeh hatten ja Lucie und er Pauli auch Pauli genannt …
Immer deutlicher hatten sich im Lauf seines Übens soeben seine Zehen bewegt und miteinander herumgespielt und geklimpert. Als seien sie Instrumente, die nur lange auf ihren Einsatz hatten warten müssen. Schließlich hatte Rudi sogar bemerkt, wie durch sein Zehenspiel auch sein ganzer Körper beweglicher wurde. Der war in den letzten einsamen Tagen hier regelrecht eingerostet. Jetzt begann er sich langsam genussvoll zu dehnen und strecken! Bis Rudi so laut und hemmungslos gähnte als wäre er ein Nilpferd.
ELF
Bei seinem anschließenden Humpel-Spaziergang im Regen atmete Rudi tief die klare, feuchte Gebirgsluft ein und auf einmal schoss ein ganz unerwartetes Glücksgefühl in ihm hoch. Wo kam das denn her? Das Wetter war noch immer beschissen, immer noch weit und breit keine Menschenseele, immer noch war er allein, aber irgendwie spürte er deutlich: Er war nicht allein! ‚Das ist ja irre, ‘ dachte Rudi.
Von irgendwoher fiel Karl ihm ein. ‚Der versucht sicher wieder, sich an Lucie ranzumachen, jetzt wo ich weg bin‘, dachte er. ‚Das sind völlig freie Menschen, Lucie und Karl‘, hörte er die Stimme des Alten in sich, ‚was kümmert dich das? Lass sie in Ruhe‘. Rudi stolperte und konnte sich gerade noch an einem Baumstamm festhalten. ‚Und jetzt roll deine Füße ab, wenn du weitergehst! ‘ Die Stimme klang plötzlich gar nicht mehr freundlich, sondern überaus streng. Rudi kriegte einen Schreck und fuhr herum, als ob jemand hinter ihm her wäre.
„Aber dieser Karl soll Lucie in Ruhe lassen!“ ‚Irrtum. Du sollst Karl und Lucie in Ruhe lassen. Oder glaubst du, bloß weil du Lucie geheiratet hast, ist sie nicht mehr frei? Lucie ist doch keine Beute! ‘ „Wenn wenigstens mein Handy gehen würde“, sagte Rudi, „dann könnte ich sie anrufen.“ ‚Das hat nicht umsonst seinen Geist aufgegeben, als du hier ankamst, ‘ erwiderte der Alte, ‚und jetzt roll deine Füße ab. ‘ Missmutig stiefelte Rudi weiter durch den Regen zurück zur Hütte. ‚Abrollen, ‘ wiederholte die Stimme des Alten, ‚Füße sind keine Klötze, hörst du? Füße sind wie magische Räder, die eure Körper durchs Leben rollen. Und Räder rollen! ‘ „Okay, Chef, “ sagte Rudi und befahl seinen Füßen: „Abrollen!“
‚Genau, ‘ sagte die Stimme des alten Mannes in Rudis Geist, ‚immer erst die Ferse aufsetzen. Und dann den Fuß über die Außenkante und die Fußballen und die Zehen nach vorne rollen. Und stütz dich nicht immer zuerst auf deinem Gehstock auf, dann vergisst du die Füße, hörst du? Erst die Füße abrollen und dann den Gehstock zu Hilfe nehmen, aber nur wenn’s sein muss. ‘ Rudi gehorchte. ‚Ja genau, jetzt wird das langsam, ‘ sagte die Stimme und klang wie ein Schmunzeln. ‚Und vergiss nicht dein Becken! Das muss wie ein Schiff auf deinen magischen Fußrädern schwingen! ‘
Rudi gab sich ernsthaft Mühe, das alles zusammenzubringen. ‚Und jetzt vergiss doch nicht immer deine Wirbelsäule! Die schwingt doch mit auf deinem Beckenschiff! Und Schultern locker! Nacken entspannen! ‘ Rudi trat zusätzlich zu dem Regen der Schweiß auf die Stirn, dann blieb er stehen und atmete tief durch. ‚Dein Kopf muss sich immer mitbewegen, Rudi! Vergiss den nicht! Der ist sozusagen der Aussichts-Korb oben am Mast deiner Wirbelsäule. Und der schwingt natürlich mit! So jetzt geh weiter. Genug ausgeruht!‘ „Nur keinen Stress!“ brüllte Rudi in den Regen hinaus und humpelte weiter.
ZWÖLF
Fünf weitere Tage waren vergangen und Rudi hatte deutlich mit seinem Gehen Fortschritte gemacht. So sehr ihn die Stimme des Alten auch manchmal nervte, er bemühte sich aufrichtig, ihr zu folgen. Was gab es hier in dieser trübsinnigen Einöde auch sonst zu tun? Noch immer hatte es nicht zu regnen aufgehört und noch immer hatte er keinen Handyempfang. Und noch immer kein Mensch weit und breit. Nur ein Falke war ab und zu in den nahen Bäumen am Rand des kleinen Gebirgssees zu sehen.
Gerade kam Rudi von seinem Spaziergang zurück und ließ sich müde auf den Holzstuhl fallen. Auf dem Bastteppich vor seiner Pritsche kroch ein dünner Regenwurm. ‚Mann bin ich froh, wenn ich wieder Nachhause komme‘, dachte er. Er nahm den Regenwurm vorsichtig in die Finger und warf ihn zur Tür hinaus.
Sein Blick fiel aus dem kleinen Fenster auf das wackelige Geländer, das die Hütte umgab. Er hörte ein nahes, kräftiges Flattern. Auf einmal war der Falke direkt vor dem Fenster auf dem Geländer gelandet und schaute mit scharfem Blick zu ihm herein. Als er Rudi bemerkte, pickte der Falke mit seinem Schnabel scharf nach rechts, dann scharf nach links, dann scharf nach vorn, schwang ein paarmal mächtig mit seinen Flügeln, und stieß urplötzlich einen so gellenden Schrei aus, dass Rudi fast das Blut gefror. Direkt zu Rudi hin stieß er seinen Schrei aus, dann drückte er sich elegant mit seinen Klauen nach rückwärts ab vom Geländer und verschwand in den grauen, verregneten Himmel hinein. Rudi standen die Haare zu Berge. Der Schrei dieses Falken war ihm in Mark und Knochen gefahren. Alle Müdigkeit war wie fortgeblasen.
Mit pochendem Herzen ließ er sich auf die Pritsche fallen und starrte zum Holzgebälk hoch. ‚Und? Was hat er gesagt, dein Vogel? ‘ fragte es in ihm. „Wach auf, Rudi“, stammelte Rudi. „Wach auf, Rudi, hat er geschrien, “ sagte Rudi leise und schloss die Augen.
‚Atme, ‘ sagte die Stimme des Alten in ihm. ‚Atme ruhig. Atme sanft. Beruhige dich. Komm Nachhaus. ‘
DREIZEHN
Rudi schlief ein.
Als er erwachte, glühte sein ganzer Körper. Rudi schlug die Augen auf.
‚Wasser, ‘ dachte er. Er zog sich aus, lief nackt zu dem kleinen Gebirgssee und sprang in das kalte Wasser hinein. Erst nachdem er ein paar Züge geschwommen war, fiel ihm auf, dass er ja ohne Stock zu dem See gelaufen war! Schnatternd vor Kälte taumelte Rudi zur Hütte zurück. Er trocknete sich schnell gründlich ab und begann, sich wieder anzuziehen. Am Schluss saß er auf dem Holzhocker und trocknete noch einmal seine Füße ab. Und jede Zehe einzeln. Währenddessen sagte er liebevoll jeden einzelnen Zehennamen: Schnucki, Friedolin, Clara, Pauli, Tom. Linker Fuß, rechter Fuß.
Plötzlich war ihm, als hörte er seine Zehen singen! Was war das schon wieder? ‚Hör einfach zu, ‘ sagte die Stimme des Alten in seinem Geist, und deutlich vernahm Rudi einen Gospelsong, eine fröhliche, fetzige Melodie, zu der seine Zehen sangen!
„Wir leben so gern, yuppidie, yuppidu,
gehen so gern, yuppidie, yuppidu!
Wir sind alle zusammen ein herrlicher Stern!
Yuppidie, yuppidu, yuppidubidu!“
‚Die werden mich in die Klapsmühle stecken, ‘ dachte Rudi, während er ungehemmt mitgroovte.
„Okay, meine Freunde, “ sagte er schließlich zu seinen Zehen, „Let’s go for a walk on the wild side!“ Damit tänzelte er lockeren Schrittes zur Tür hinaus.
„Was ist denn hier los?“ entfuhr es ihm, als er den Blick hob. Es hatte zu regnen aufgehört!
‚Auch gut, ‘ dachte Rudi, ‚davon lassen wir uns jetzt nicht die Laune verderben, oder Freunde? ‘ „Never ever, honey! Never ever! Oh yeah, sweeheheet hohohoney, nehever ehehever!“ sangen seine Zehen zurück und genossen es von jedem einzelnen seiner Schritte regelrecht durchgeknetet zu werden.
Die Sonne brach immer deutlicher durch die Wolken hindurch, und als sich Rudi auf die einzige Bank setzte, die hier weit und breit stand, schien sie direkt und stark auf ihn herunter. ‚Oh mein Gott, ‘ dachte Rudi, ‚ist dieses Leben schön! ‘
Eine Zeitlang saß er still mit geschlossenen Augen da und genoss nur in vollen Zügen die helle Wärme auf Gesicht und Händen.
VIERZEHN
‚Erinnerst du dich an den Satz auf deinem Zettel? ‘ fragte die Stimme des Alten in seinem Geist. Der Satz fiel Rudi nicht ein. Der Zettel lag irgendwo in der Hütte. ‚Dann mach jetzt die Augen auf, ‘ sagte die Stimme. ‚Wieso eigentlich‘, dachte Rudi. Er fühlte gerade einen so herrlichen Frieden in sich. Wie warmes, flüssiges Gold fühlte sich das an. Erst als ihm eine Träne über die Wange lief, öffnete er seine Augen und wischte die Träne weg. Das war ja unglaublich!
Auf einmal wusste er, dass er von nichts, worauf sein Blick fiel getrennt war! So etwas wie eine Rudi-Person gab es in Wirklichkeit überhaupt nicht! Obwohl natürlich er es war, der dieses Wunder erlebte! Alles um ihn her sang jetzt: „Ich!“ Alles war Ich!
Das alles war er! Das alles war seine Welt! Seine Erfahrung! Diese Bäume, dieser Weg, dieser kleine See mit der Hütte am Horizont. Diese paar Wolken, die sich gerade am Himmel auflösten, die Sonne, der kleine Käfer, der über seine Hand krabbelte!
Rudi stand der Mund offen. Seine Brust glühte. ‚Was für ein Frieden, ‘ dachte er. „Ja, lebendiger Frieden“, sagte die Stimme des alten weisen Mannes, der, wie aus dem Nichts aufgetaucht, vor seiner Bank stand und ihn anlächelte. „Das wirst du nie vergessen, Rudi.“ Damit drehte er sich von Rudi weg und begann den Bergweg hinunterzugehen. „Werden wir uns denn wiedersehen?“ rief ihm Rudi hinterher.
Der alte Mann blieb stehen und rief zurück, ohne sich umzusehen: „Nicht nötig, Rudi! Jetzt bist du doch Ich!“ Die Worte klangen in Rudi nach wie ein Paukenschlag. Er verstand kein Wort und trotzdem verstand er jedes Wort! „Jetzt bin Ich du“, murmelte er, „ja genau!“
Da drehte sich der Alte noch einmal zu ihm um und rief lachend: „Dein Handy funktioniert übrigens wieder. Ruf doch mal Lucie an!“
Und wieder abgewandt und im Weitergehen donnerte seine Stimme noch: „Ach, und vergiss nicht den Karl! Der war ja jetzt lange außer Landes. Wenn der von seiner Geschäftsreise zurückkommt, richte ihm meine herzlichsten Grüße aus!“
Rudis Zehen klimperten heftig. Dann war wieder Stille und dieser unfassbare lebendige Friede in seinem Geist …
NACHWORT
Dieses Märchen enthält Ideen, die mir persönlich bei der Bewältigung massiver MS-bedingter Gangstörungen, Missempfindungen und Schmerzen sowie schwerster Depressionen entscheidend geholfen haben.
Meine Hoffnung ist, dass Sie darin Gedanken finden, die Ihnen für die Überwindung diversester Lebensprobleme Anstöße zu Lösung oder Genesung liefern.
Vielleicht mögen Sie ja eigenen schmerzenden Körperregionen Fantasienamen geben und sie dadurch wieder mit Zuwendung versorgen. Oder vielleicht sagen Sie öfter mal „Schwamm drüber“ zu Situationen und Gefühlen, die Ihnen nicht guttun. Oder vielleicht kommen Sie durch dieses Märchen in Kontakt mit Ihrer eigenen inneren Stimme, deren einziges Ziel es ist, dass es Ihnen und allen um Sie herum gut geht und Sie glücklich sind!
Christoph Engen, 20.11.2013
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